Gesichter hinter Zahlen

[Frankfurter Rundschau vom 22. Juli 2009]

Von Lilith Becker.

Sie sollen Menschen werden, die Drogentoten. Sie sollen nicht nur Zahlen sein. Deswegen liegen Schuhe paarweise auf der Kaiserstraße am Hauptbahnhof. Sie liegen neben 33 Holzkreuzen und Zetteln mit Namen darauf. 33 Menschen sind im Jahr 2008 in Frankfurt an Drogen gestorben. 1449 waren es in ganz Deutschland. Viele Junkies und Angehörige der Toten stehen vor den Schuhen. Manche von ihnen haben Botschaften auf Zettel geschrieben. "Zum Gedenken an Renate und Wolfgang, in Liebe Heidi", steht da. Oder ein Text wie: "Peter, ich komme dir nach, ich will nicht mehr hier sein."

"Unsere Drogenpolitik treibt manche Leute in den Suizid", sagt Christian Holl. Er ist Sprecher von "jes" in Frankfurt. Jes steht für "Junkies, Ehemalige, Substituierte". Das bundesweite Drogenselbsthilfenetzwerk kämpft seit 1989 für "ein menschenwürdiges Leben mit Drogen", für legale Abgabestellen für Heroin. "Ohne Legalisierung geht es nicht!", lautet das Motto des 12. Nationalen Gedenktages von jes. Gedacht wird am 21. Juli, jedes Jahr seit 1999, den "Drogenpolitikopfern", wie Christian Holl sie nennt.

Jes Frankfurt hat einen Stand aufgebaut. Unter einem weißen Pavillon liegen Informationsbroschüren auf einem Holztisch. Darin hat jes aufgelistet, was beachtet werden muss, wenn Drogen legalisiert werden.

Lizenzen für Drogenfachverkäufer

Die Orte des Verkaufs müssten beschränkt werden, Lizenzen sollten nur an Händler vergeben werden, die sich als Drogenfachverkäufer qualifiziert und eine Lizenz erworben hätten. Heroin sollte von der Lebensmittelüberwachung geprüft werden. "Es ist schließlich eine Droge wie Alkohol, Tabak, Tee und Kaffee", sagt Christian Holl. Zumindest wenn sie sauber sei.

Holl kennt die Szene gut. Die Szene, in der dreckiges Heroin verkauft und dreckige Spritzen weitergereicht werden. Der 46-Jährige brauchte Heroin lange Zeit selber. Seit zehn Jahren sei er clean. Gäbe es legal saubere Drogen, gäbe es auch weniger Tote. "Natürlich nur unter fachlicher Aufsicht, so wie in Apotheken", erklärt Holl.

Ein Fußgänger in Hemd und Krawatte kommt vorbei. Er stimmt Holl zu, "Alkohol ist doch viel schlimmer", sagt er, "da werden die Leute aggressiv. Bei Heroin sind sie doch ganz ruhig." Drogenkonsum führe nicht zwangsläufig ins Elend, sagt Carsten Labudda, der Sprecher der AG Drogenpolitik der Partei die Linke. Zudem halte das Verbot die Leute nicht ab, Drogen zu nehmen. Als positives Beispiel für legalisierte Drogen führt Labudda die Niederlande an. Dort sei Cannabis legal und es gebe dennoch weniger Haschisch-Konsumenten als in Deutschland. "Es geht mir aber vor allem um die Umstände, unter denen Drogen verkauft werden", sagt Labudda. Wenn Hilfesysteme legal seien, würden sie auch eher von denen angenommen, die sie brauchen.

Dasein selbst bestimmen

Im Mai 2009 hatte der Bundestag dafür gestimmt, heroingestützte Behandlungen in den Katalog der Regelversorgung der Krankenkassen mit aufzunehmen. Jährlich werden 70-000 Menschen von den Methadon-Abgabestellen in Deutschland erreicht. "In Zukunft sollte Diamorphin, sauberes Heroin, verteilt werden", fordert der Linke. "Ich bin überzeugt, man kann einen guten Umgang mit Drogen lernen". Sie seien schließlich nicht wegzudenken aus der Gesellschaft. "Krieg gegen Drogen ist Krieg gegen Menschen", steht auf einem Leinentuch am Stand von jes.

Die Mitglieder kämpfen dafür, ihre Lebensumstände bestimmen zu dürfen, sagt Christian Holler. "Damit wir nicht mehr krepieren müssen wie die Fliegen." Die Zahlen sollen verschwinden und die Menschen bleiben.

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