Bundesregierung ignoriert Ergebnisse der internationalen Kommission für Drogenpolitik

[Pressemitteilung vom 25. Juli 2011 von Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE.]

Auf meine Kleine Anfrage „Umsetzung der Empfehlung der Global Commission on Drug Policy“ (BT-Drs. 17/6426) gab die Bundesregierung eine ernüchternde Antwort: Wenn ich wegschaue, dann gibt es das Problem nicht.

Im Juni 2011 kam die Global Commission on Drug Policy, der u.a. bekannte Persönlichkeiten wie Javier Solana, Giorgos Papandreou und Kofi Annan angehören, zum erschütternden Ergebnis, dass der Krieg gegen die Drogen verloren gegangen ist. Sie stellt zudem fest, dass die Repression gegen den Drogenkonsum keinerlei positive Effekte erzielen konnte und stattdessen das Gegenteil eingetreten ist: Internationale Drogenkartelle destabilisieren die Gesellschaften sowohl im Süden als auch im Norden der Welt. Daher muss es zu einem radikalen Umdenken in der Drogenpolitik kommen. Zentral hierfür ist es, bisher illegalisierte Drogen zu entkriminalisieren, um so die Märkte dem Schwarzhandel zu entziehen und staatlich zu kontrollieren.

Meine Kleine Anfrage hatte den Zweck, die Bundesregierung zu fragen, ob und falls ja, inwiefern sie die Empfehlungen der Kommission umsetzen will. Doch schon meine erste Frage, ob die Bundesregierung den Kampf gegen die Drogen für gescheitert betrachtet, beantwortet diese nicht, sondern flüchtet in Allgemeinaussagen.

So geht es weiter: Die Empfehlung der Entkriminalisierung von Cannabis wird durch die Bundesregierung damit entgegnet, dass dieses Verbot dem Schutz der Gesundheit diene. Dies steht der Analyse der Kommission vollkommen entgegen. Diese stellt fest, dass der Gesundheitsschutz nicht durch ein Verbot erlangt werden kann, da der Konsum von Drogen unabhängig der Betäubungsmittelgesetze stattfindet:

„Die Faktoren, die dazu führen, dass problematische Muster des Drogenkonsums bzw. Abhängigkeitsmuster entstehen, haben mehr mit Kindheitstraumata, Vernachlässigung in der Kindheit, schwierigen Lebensbedingungen, sozialer Ausgrenzung und emotionalen Problemen zu tun als mit moralischer Schwäche oder Hedonismus.“ Das Verbot dient also nicht dem Schutz, sondern führt dazu, dass Konsumierende in die Kriminalität getrieben werden. Darüber hinaus führt das Verbot dazu, dass es keine staatliche Kontrolle über die Bestandteile einer Droge geben kann. Eine solche Kontrolle könnte jedoch den Gesundheitsschutz für Abhängige maßgeblich erhöhen.

In diesem Zusammenhang steht auch meine weitere Frage: Was ist der Bundesregierung über mögliche Streckmittel bekannt? Die Antwort ist kurz und präzise, jedoch ernüchtern: „Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Nachweise über die Verbreitung von Streckmitteln in illegalen Drogen in Deutschland vor.“ Diese Gefahrenanalyse erklärt, warum die Bundesregierung auf fahrlässige Art den Gesundheitsschutz für Drogenkonsumierende und –abhängige ignoriert. Die Bundesregierung hat jedoch die Pflicht, den Gesundheitsschutz für alle Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Hier werde ich weiterhin Druck auf die Koalition und die Bundesregierung ausüben.

Ein weiterer Tiefpunkt wird bei der Frage deutlich, wie die Bundesregierung das Gefahrenpotenzial von Konsumierenden in Relation zu den organisierten Drogenkartellen sieht. Die Kommission kommt zum Ergebnis, dass das Problem der Drogenkriminalität nicht bei den Konsumierenden zu lösen ist, sondern bei den Herstellerinnen und Herstellern. Diese Drogenkartelle sind ein sehr ernst zu nehmender Faktor in Fragen sowohl der nationalen als auch internationalen Sicherheit. Die Bundesregierung teilt diese Analyse jedoch nicht und weist darauf hin, dass auch die Drogenkonsumierenden für die Finanzierung ihrer Sucht Straftaten begehen. Dies ist zwar richtig, jedoch sind nicht alle Drogenkonsumierenden süchtig und begehen aufgrund ihrer Abhängigkeit Beschaffungskriminalität. Die Gleichsetzung von Drogenkartellen mit den Konsumierenden sorgt für eine falsche Prioritätensetzung: Die Gelder für die Ermittlung von Straftaten in Zusammenhang mit Betäubungsmitteln muss auf die Zerschlagung von Drogenkartellen gelegt sowie in Aufklärungs- und präventionsmaßnahmen für Konsumierende investiert werden. Diesen Ansatz fordert auch die Kommission.

Die Gleichsetzung des Gefahrenpotenzials von Konsumierenden und der Drogenkartelle erklärt auch die Ignoranz der Bundesregierung, das Thema auf der internationalen Ebene stärker zu bearbeiten. Auf meine Frage, welchen Stellenwert die Drogenpolitik im Rahmen des deutschen Sitzes im UN-Sicherheitsrat hat, verweist die Bundesregierung darauf, dass der Sicherheitsrat mit akuten sicherheitspolitischen Fragen beschäftigt ist. Diese Aussage suggeriert jedoch, dass die Drogenpolitik kein akutes Sicherheitsthema sei. Diese Analyse ist schlichtweg schockierend, da international agierende Drogenkartelle ganze Staaten und Gesellschaften zerstören können. Die Situation in Afghanistan ist hierfür nur ein Beispiel.

Abschließend möchte ich feststellen, dass die Antwort der Bundesregierung aber auch beweist, dass bereits kleinere Erfolge in Richtung einer liberalen Drogenpolitik zu verzeichnen sind: So bezieht sich die Schwarz-Gelbe Bundesregierung positiv auf staatlich kontrollierte Spritzenvergabe, Drogenkonsumräume und Substitutionsbehandlung. Diese Errungenschaften wurden zuvor stets von Union und FDP scharf kritisiert. Dieses Beispiel zeigt, dass eine Veränderung der Drogenpolitik langsam und in kleinen Schritten vonstatten geht. Um diese Entwicklung im Interesse der gesamten Gesellschaft, nicht nur zum Schutz von Drogenkonsumierenden, weiterzuführen, bedarf es jedoch der Aufmerksamkeit von Zivilgesellschaft und Politik. Die Ergebnisse einer renommierten internationalen Kommission auf diesem Gebiet sind hierbei ein wichtiger Bestandteil und dürfen nicht länger von der Bundesregierung ignoriert werden.

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Zum Download steht weiter unten der Bericht der Kommission bereit. Die Übersetzung wurde von Bettina Röhricht in Zusammenarbeit mit dem Sprachdienst des Deutschen Bundestags angefertigt.

>>> Global_Commission_Report_1302-11_DE.pdf (321,8 kB)

>>> Global_Commission_Report_English.pdf (387,8 kB)

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