Drogenpolitische Leitlinien der PDS-Leipzig

[Beschlossen auf der Stadtdelegiertenkonferenz in Leipzig am 14. Juni 2003 ]

1. Drogen sind eine Alltagserscheinung

Alkohol und Tabak sind allgegenwärtig in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt. Apotheken oder Ärzte und Ärztinnen als Bezugsquelle psychoaktiv wirkender Medikamente finden sich in jedem Stadtteil. Wochenende für Wochenende besuchen Tausende junger Menschen Diskotheken und Clubs, in denen neben legalen auch illegale Drogen konsumiert werden. Die Suche des Menschen nach Rausch- und Grenzerfahrungen wird von der Werbeindustrie gern aufgegriffen und forciert. Drogen sind Bestandteil der physischen, psychischen, ökologischen und sozialen Regelkreise, die das Leben prägen, und sie können je nach Gebrauchsmuster positiv oder negativ auf die individuellen Lebensentwürfe einwirken. Auch hier gilt der Satz: Die Dosis macht das Gift. Es ist jedoch eine nicht mehr zu übersehende Tatsache, dass in Leipzig ein Drogen- und Suchtproblem besteht. Durch die bestehende Bundeszuständigkeit und -gesetzgebung kann die Kommune nicht alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen von sich aus bearbeiten und klären. Dennoch besteht ein begrenzter Handlungsspielraum. Diesen zu nutzen, ist Anliegen unserer sozialistischen Kommunalpolitik. Es ist notwendig, einige Begriffe wie "Droge", "Abhängigkeit" und "Sucht" genauer zu bestimmen, um den verbreitet anzutreffenden Fehlinterpretationen zu begegnen. Diese Definitionen lehnen sich an die einschlägige Fachliteratur an und dienen als Arbeitsbegriffe.

2. Begriffsbestimmungen

Der Begriff Drogen wird in der heutigen Zeit zumeist auf verbotene Stoffe eingeengt

Drogen begleiten den Menschen seit langer Zeit. Durch die Jahrtausende nutzt er pflanzliche u.a. Substanzen, die seinen psychischen und physischen Zustand verändern. Der Begriff Droge wird in der heutigen Zeit zumeist verengend für jene Stoffe angewandt, deren Herstellung und Verbreitung verboten sind. Der Drogenbegriff wird undifferenziert aus dem positiven Recht.abgeleitet. Diese Verengung wiederum führt zu der irrealen Aufteilung der psychotropen Substanzen in "Betäubungsmittel" (illegalisierte Drogen) einerseits und "Genussmittel" (legale Stoffe) andererseits. Drogen sind aber generell alle Wirkstoffe pflanzlicher, körpereigener oder chemisch-synthetischer Herkunft, die das Zentralnervensystem von Lebewesen beeinflussen, unabhängig von ihrer spezifischen Wirkungsweise. Sie greifen in die biologischen und physiologischen Abläufe des Körpers ein und führen zu Veränderungen von Wahrnehmungen, Stimmungen, Gefühlen und Verhaltensweisen. Drogen sind daher auch jene Stoffe wie Nikotin, Alkohol und Koffein, welche nicht gesetzlich verboten sind legalisierte Drogen. Demgegenüber sind illegalisierte Drogen all die Substanzen, wie Cannabis, Kokain, Heroin und Amphetamine, die unter das Bundesbetäubungsmittelgesetz fallen, also gesetzlich verboten sind.

Sucht ist keine ansteckende Krankheit. Sie wird nicht automatisch durch den Konsum bestimmter Substanzen ausgelöst. Sucht kann verschiedene Ursachen haben. Das Gefährdungspotential für den Menschen hinsichtlich einer möglichen Sucht liegt in der psychosozialen Abhängigkeit von einem irrealen Lebensgefühl. Dieses scheinbar übermächtige Bedürfnis, von dem Menschen psychisch und physisch abhängig werden können und das sich auch auf Suchtmittel richten kann, heißt Sucht. Sucht als behandlungsbedürftige Krankheit liegt vor, wenn sie eine Eigendynamik und Zwanghaftigkeit annimmt, die den Einzelnen nicht mehr frei entscheiden lässt. In Verbindung mit Suchtmitteln heißt süchtiges Verhalten mit Krankheitswert Suchtmittelabhängigkeit, d.h. der Abhängige kann mit dem Suchtmittel nicht mehr selbstentscheidend umgehen. Dabei stehen anfünglich suchtmittelbedingte Sinnesempfindungen im Vordergrund, welche mit fortschreitender Abhängigkeit in aller Regel von dem Drang, auftretende Entzugserscheinungen jedweder Art zu vermeiden, abgelöst werden.

Abhängigkeit bezeichnet jenes Verlangen, dass nach einer beständigen Wiederholung der Einnahme stofflicher Suchtmittel oder von Verhaltensweisen im Zusammenspiel mit nichtstofflichen Suchtmitteln, strebt, um Lustgefühle zu wecken oder aber Schmerzen zu vermeiden. Kennzeichnend sind: Gewöhnung, Kontrollverlust und Wiederholungsdrang.

3. Sucht- und Drogenpolitik

Stärkung des suchtpolitischen Ansatzes als interdisziplinäres und ganzheitliches Konzept

Emanzipatorische Suchtpolitik bezieht sich auf die Schaffung von Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben, mit oder ohne psychoaktive Substanzen. Drogenpolitik orientiert sich auf die praktisch politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Umgang mit Wirkstoffen pflanzlicher oder chemisch-synthetischer Herkunft, die das Zentralnervensystem und und darüber das Verhalten von Menschen beeinflussen.

Im Mittelpunkt unserer kommunalen Sucht- und Drogenpolitik steht in den nächsten Jahren vor allem die Stärkung des suchtpräventiven Ansatzes und einer emanzipatorischen Suchtpolitik.

4. Situation in Leipzig

Alkohol, Nikotin und Arzneimittel an erster Stelle

Bezug nehmend auf die Suchtberichte 1999 und 2000 sowie den Entwurf des Suchtpräventionsplanes der Stadt Leipzig und die Analysen von in diesem Bereich engagierten Institutionen kommen wir zu folgender Situationsbeschreibung:

Einstiegsdrogen: Alkohol, Nikotin, Arzneimittel

Das weitaus häufigste Suchtproblem ergibt sich aus dem legalen Drogengebrauch von Alkohol, Nikotin und Arzneimitteln. "In Leipzig liegt die Zahl der infolge einer Alkoholkrankheit berufsunfähig gewordenen Personen fast um das Doppelte über dem.Bundesdurchschnitt." Bereits Kinder im Alter von 11 Jahren konsumieren diese Drogen oder sind vom gesundheitsschädlichen Gebrauch dieser Suchtmittel in den Familien betroffen. Neben den körperlichen Symptomen sind dabei seelische Konflikte und soziale Probleme der Betroffenen zu verzeichnen. "Die aktuelle soziologische Forschung benennt sie als die wichtigsten Einstiegsdrogen im Jugendalter."

Anstieg beim Gebrauch illegalisierter Drogen

Es kam zu einer beträchtlichen Erhöhung der Zahl der Drogengebraucher, insbesondere bei der Zahl der Heroinkonsumenten. Unverändert dominiert der Opiatgebrauch bei illegalisierten Drogen im Raum Leipzig und hebt sich damit von den anderen Regierungsbezirken ab. Der Kokainkonsum nimmt zu.

Weit verbreitet sind Crystal, Crack und Ecstasy als "Mode- und Partydrogen". Der Gebrauch von Cannabis ist für viele Jugendliche alltäglich.

Verstärkt wurden entsprechenden Hilfesysteme in der Stadt Leipzig aufgesucht, gleichzeitig kam es zu einer Steigerung der Strafverfolgungsfälle.

Problematischer Anstieg des Konsums bei jungen Frauen

Unverändert sind Jugendliche im Bereich der illegalisierten Drogen eine wesentliche Betroffenengruppe. Durch freie Träger mit Basisarbeit wird eher eine Altersverschiebung in jüngere Jahre beschrieben (Einstiegsalter für Jungen 13 Jahre, für Mädchen 12 Jahre). "Die Hauptzielgruppe illegaler Drogen ist unverändert das Jugendalter (Schwerpunkt 16 - 18 Jahre)." Zusätzlich wurde ein zweiter Schwerpunkt im Heranwachsendenalter (19 - 21 Jahre) deutlich, für den ursächlich das Herauswachsen in dieses Alter von ursprünglich jugendlichen Drogengebrauchern anzunehmen ist.

In den jüngeren Altersgruppen ist ein starkes Aufholen des weiblichen Geschlechtes festzustellen. Die Streetworker des Jugendamtes fanden teilweise ein Überwiegen der Mädchen in der drogengebrauchenden Klientel. Inzwischen werden verstärkt Schwangerschaften drogenabhängiger Frauen betreut.

Begleitkrankheiten des Drogenkonsums

Der intravenöse Gebrauch von Drogen, insbesondere von Heroin, ist zunehmend und damit auch die Folge- und Begleitkrankheiten. Verdeutlicht wird dieser Trend an der Verdoppelung der getauschten Spritzen und Kanülen, am steigenden Trend der Methadonsubstitution trotz Bürokratisierung der Verfahrensweise, am Anteil der Durchseuchung mit Hepatitis C. Die Multimorbidität und soziale Verelendung der Klientel nimmt besonders deutlich zu. Insbesondere wird ein "Überfließen" der Drogenproblematik in andere Sozialeinrichtungen aus Kapazitätsmangel der eigentlichen Drogenhilfeeinrichtungen festgestellt.

Prostitution zur Drogenbeschaffung

Als bevorzugte Finanzierungsform der Drogenbeschaffung gilt gegenwärtig die weibliche, aber auch männliche Prostitution. Die Anbieterszene für illegalisierter Drogen zeigte auch 1999 wieder Ansätze, sich an bestimmten städtischen Quartieren zu etablieren und auszubreiten. Die ordnungspolitischen und polizeilichen Ansätze zur Zerschlagung der illegalen Anbieterszene führten zu deren Dezentralisierung. Dadurch wurde die Arbeit von Streetworkern und anderen sozialen Hilfeanbietern deutlich erschwert. Es ließ sich eine höhere Sensibilität zur Thematik bei Schulen und Einrichtungen im Jugendfreizeitbereich feststellen, die sich in einer stärkeren Offenheit, Gesprächsbereitschaft und Eigenaktivität äußerte.

Eine realistische Situationsanalyse und der Kontakt zu entsprechenden Selbsthilfe-, Präventions- und Suchtkrankenhilfeeinrichtungen sind die Basis für die suchtpolitische Arbeit der PDS Leipzig.

5. Politische Handlungsansätze der PDS Leipzig

Suchtprävention

Der Erhaltung, Weiterentwicklung der suchtpräventiven Angebote und insbesondere deren fachübergreifende Vernetzung und die Absicherung der Flächendeckung gilt unser Augenmerk.

Die Arbeitsweise und Wirkung des bestehenden Suchthilfesystems ist in geeigneter Form zu evaluieren, weiterzuentwickeln und zu qualifizieren. Innovative Arbeitsmethoden wie z.B. das case management sind zur Einführung zu empfehlen. Es muss der Gefahr vorgebeugt werden, dass das Hilfesystem am realen Bedarf vorbei agiert. Der suchtpräventiven Arbeit soll neben den einschlägigen Hilfsangeboten zukünftig in allen lebensnahen Bereichen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein größeres Schwergewicht verliehen werden. Repressionen und belehrende "Zeigefingerpädagogik" sind ungeeignete Mittel um junge Menschen zu erreichen. Präventionsarbeit muss die Förderung von Lebenskompetenzen, Konfliktbewältigungs- und Handlungsstrategien in den Mittelpunkt ganzheitlicher sowie interdisziplinärer Präventionskonzepte stellen. Wir unterstützen Modelle der Suchtprävention mit dem Ansatz der "PEER-EDUCATION" (Projekt "free your mind") und der Drogenmündigkeit (z.B. Drugscouts). Maßnahmen der Frühintervention und Ausstieghilfen bei riskantem Drogengebrauch sind im Sinne der sekundären Prävention zu etablieren und zu intensivieren. Die erreichte Vernetzung in Leipzig ist weiter zu stärken und zu qualifizieren. Die Umsetzung bestehender Präventionskonzepte muss durch autorisierte und koordinierende Strukturen langfristig gesichert werden. Für kontinuierliche Suchtpräventionsarbeit an Schulen sind die Suchtpräventionsleistungen von Ämtern und Freien Trägern im Jugendhilfebereich festzuschreiben und fachübergreifender suchtpräventiver Unterricht in allen Schulen der Stadt Leipzig einzuführen. Es ist notwendig die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften wie Lehrer, Erzieher, Psychologen, Mediziner und Sozialpädagogen hinsichtlich moderner Konzeptionen der primären Suchtprävention zu qualifizieren.

Hilfsangebote
  • Gesundheitsräume/ Drogenkonsumräume als Überlebenshilfen gegen HIV und Hepatitis C sowie als Zugangsmöglichkeit zu Hilfsangeboten
Die PDS Leipzig tritt für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen als Ergänzung zum vorhandenen Drogenhilfssystem in Leipzig ein. Sie stellt an die Stadt Leipzig den Antrag, sich bei der Landesregierung Sachsen in Ausschöpfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für entsprechende rechtliche Regelungen zur Schaffung von Konsumräumen einzusetzen.

Mit der Änderung des Bundesbetäubungsmittelgesetzes vom 1. April 2000 wurden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsvorschrift die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb von Drogenkonsumräumen zu regeln.

Konsumräume sind alltagsorientierte und niederschwellig organisierte Überlebenshilfen und schaffen Zugangsmöglichkeiten zu Hilfsangeboten der Suchthilfe über den Konsum hinaus.

Konsumräume tragen durch menschenwürdige hygienische Bedingungen und Erste Hilfe Angebote dazu bei, entstehende Infektionen wie HIV, Hepatitis C, Abszesse, Blutvergiftungen etc. zu vermeiden und Todesfälle durch versehentliche Überdosierung zu reduzieren.

Konsumräume führen zu einer Entspannung an sozialen Brennpunkten der Stadt. Die Verunreinigungen und die damit verbunden Infektionsgefahr durch Spritzen, spezifischen Müll auf Kinderspielplätzen und in Parkanlagen kann deutlich reduziert werden.

Konsumräume stellen keine generelle Problemlösung dar, sie können lediglich dazu beitragen die durch die Illegalisierung von Substanzen entstehenden gesundheitlichen Folgeschäden zu reduzieren.

Die Schaffung von Konsumräumen kann eine Konzentration von Abhängigen im entsprechenden Umfeld der Gesundheitsräume nach sich ziehen. Dieser ordnungspolitische Gesichtspunkt ist jedoch durchaus gewollt, das Geschehen kann somit in kontrollierte geschützte Räume verlagert werden. Wohngebiete werden von Folgeproblemen entlastet.
  • Spritzenerwerb und die Integration des Spritzentausches in bestehende Hilfsangebote.
  • Drug-Checking als Intervention zum Erhaltung der Gesundheit
Die PDS tritt für die Einführung eines Drug-Checking-Systems in Leipzig ein.

Drug-Checking ist eine Interventionsstrategie zur Erhaltung der Gesundheit. Die genaue Kenntnis von Dosierung und Wirkstoffzusammensetzung einer Droge, das Drug-Checking, fördert den Lernprozess zum emanzipierten und selbstbestimmten Umgang mit Drogen und zu einem Risikomanagement durch die Vergegenwärtigung objektiv bestehender Gefahrenpotentiale.

Nur durch die Veröffentlichung der Laboranalysen von auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Drogen ist es den Drogengebrauchern möglich, die mitunter deutlich unterschiedlichen Wirkungsweisen verschiedener Substanzen an sich zu beobachten.
  • Substitutionsangebote für Drogenabhängige im Rahmen medizinisch-therapeutischer Programme
Die Leipziger PDS unterstützt Forderungen nach altersunabhängiger sowie repressionsfreier Substitutionsangebote für Suchtkranke im Rahmen medizinisch-therapeutischer Programme.
  • Soziale Hilfsangebote für Drogenabhängige
Die Leipziger PDS hält den Ausbau und die Stärkung von Einrichtung sozialer Hilfsangebote, wie etwa Wohnprojekte für Minderjährige und Mütter, für notwendig. Forderungen nach Ausbildungs- und Arbeitsplatzangeboten im Anschluss an Therapiemaßnahmen sowie nach schulischen Angeboten in Therapieeinrichtungen im Freistaat Sachsen finden die Unterstützung der PDS.

Die PDS sieht in den Selbsthilfegruppen für Suchtkranke und Betroffene einen wichtigen Bestandteil im Suchthilfesystem



Redaktion:
Reiko Fitzke, MachtLos e.V.
Marko Forberger, AK Suchtprävention der Stadt Leipzig
Stefan Hartmann, Stadtrat zu Leipzig
Martin Kraetke, indymedia
Dr. Dirk Wagner, LAG "Bürgerrechte und Demokratie"
und andere

.

Trackback URL:
https://linkedrogenpolitik.twoday.net/stories/1065630/modTrackback


Materialien
Positionen
Presseecho
Pressemitteilungen
Reden
Termine
Verschiedenes
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren