Weinheimer Thesen zur Drogenpolitik

[Drogenpolitisches Programm der AG Junge GenossInnen Baden-Württemberg, beschlossen durch die Landesmitgliederversammlung in Donaueschingen am 19. März 1998]

1. Einleitende Worte

Drogen sind Substanzen, die auf unsere Psyche wirken. Sie können uns stimulieren oder beruhigen, das Bewußtsein "erweitern" oder unerwünschte Empfindungen dämpfen. Ihre Anwendungsgebiete im medizinischen, religiösen und privaten Bereich sind vielschichtig. Drogengebrauch hat von daher eine Jahrtausende alte Tradition.

Eine unerwünschte Eigenschaft von Drogen ist, daß sie ein Abhängigkeitspotential haben, d.h., sie können unter Umständen Abhängigkeit hervorrufen. Abhängigkeit bedeutet zwanghaftes Bedürfnis nach Konsum dieser Stoffe. Es wird nach psychischer (geistiger) und physischer (körperlicher) Abhängigkeit unterschieden. Substanzen, die die erstere Form hervorrufen können, werden als "weiche" Drogen bezeichnet. Hierunter fallen z.B. die Halluzinogene (Cannabis, Psillobycin, Meskalin, LSD). Opiate (Heroin, Codein, Morphin) und Alkohol können neben psychischer auch zu physischer Abhängigkeit führen, da sie in den Stoffwechselkreislauf des Konsumenten integriert werden. Diese Stoffe werden als "harte" Drogen bezeichnet.

Aufgrund der Vielzahl an Drogen und der damit einher gehenden Vielzahl möglicher Wirkungen und auch Gefahren ist es unerläßlich, daß über Drogen offen und ohne ideologische Scheuklappen informiert werden kann. Nur umfassendes Informiertsein kann zu verantwortungsvollem Umgang mit Drogen führen. Das ist uns, der AG Junge GenossInnen in und bei der PDS, ein wichtiges Anliegen.

2. Sucht und Gesellschaft

Drogen und Drogenkonsum sind Teil unserer Gesellschaft, unter anderem, weil diese Gesellschaft in weiten Teilen auf Sucht basiert. Wichtige Pfeiler im herrschenden Gefüge des Zusammenlebens bilden z.B. die Konsum- und die Arbeitssucht. Ständig werden wir von der Wirtschaft und ihrer Werbung gedrängt, Produkte zu kaufen, ob wir sie brauchen oder nicht. Das Bedürfnis wird uns suggeriert, verdeckt und offen. Deutlichste Beispiele finden wir täglich im Werbefernsehen: "Kaufen sie das Produkt XY, und sie sind glücklich!" oder "Von unserem xxx kommen sie nie wieder los!" usw.

Die Arbeitssucht (Workaholismus) ist eine andere gesellschaftskonforme Sucht. Ständig sind die Menschen angehalten, Leistung zu erbringen. Sie müssen andere ausstechen, um einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu bekommen, sie müssen besser als andere sein, um ihren Arbeitsplatz zu behalten. Fitness ist in dieser Gesellschaft zu einem Wert an sich geworden. Wer diesem Wert nicht ständig in vollem Maße entsprechen kann, läuft Gefahr, schnell an den Rand gedrängt zu werden.

Drogen sind in diesem Kontext nur entweder ein Phänomen der Anpassung (Leistungsdrogen) oder des versuchten Ausstiegs aus den gesellschaftlich auferlegten Zwängen (Rauschdrogen).

3. Drogen und Staat

In einem gesellschaftlichen Umfeld, das Süchte begünstigt, stellt der bisher praktizierte staatliche "Krieg gegen Drogen" eine Farce dar. Folgerichtig muß er als gescheitert betrachtet werden. Die Schätzungen, denen zufolge es allein in Deutschland mehrere Millionen Kiffer (Cannabisraucher) gibt, denen zufolge der Konsum synthetischer Drogen wie Ecstasy in den letzten Jahren explosionsartig zugenommen hat, denen zufolge die Erstkonsumenten immer jünger werden, belegen dieses eindeutig und lassen keinen anderen Schluß zu, als das der "Krieg gegen Drogen" außer dem Verschleiß an finanziellen Mitteln und gestiegener "Drogenkriminalität" als logischer Folge nichts bewirkt hat.

Anstatt die gesellschaftlichen Ursachen für den Drogenkonsum zu verringern, wird staatlicherseits eine Verteufelung von Drogen betrieben, die an den gegebenen Realitäten vorbeigeht, da persönliche Erfahrungen der Konsumenten zumeist andere sind oder dem sogar konträr entgegenstehen. Bei der Entscheidung, erstmals eine Droge zu konsumieren, haben diejenigen, die diese Droge bereits konsumiert haben, für den Erstkonsumenten in jedem Fall einen Bonus an Glaubwürdigkeit. Die Verteufelung dieser Stoffe durch den Staat beraubt ihn der letzten Reste an Glaubwürdigkeit in der Drogenpolitik.

Dazu paßt leider auch die herrschende Doppelmoral, die weiche Droge Haschisch zu verbieten, die harte und weitaus gefährlichere Droge Alkohol jedoch exzessiv zu mißbrauchen, wie zahlreiche Verkehrsdelikte diverser CSU-Politiker in der Vergangenheit gezeigt haben. Das macht die heute herrschende Drogenpolitik schlicht und einfach lächerlich!

Die Dämonisierung von (noch illegalen) Drogen auf der einen Seite führt ursächlich mit zur auf der anderern Seite zu beobachtenden Glorifizierung von Drogen, sei es Haschisch ("Ich kiffe gern"-T-Shirts) oder Heroin ("Heroin-Chic"). Dieses durch den Staat mit verschuldete Schwarz-Weiß-Denken kann dem Phänomen Rauschgift nicht gerecht werden. Es erschwert den verantwortungsbewußten Umgang mit Drogen in starkem Maße und ist von daher abzulehnen.

4. Recht auf Rausch!

Wir, die AG Junge GenossInnen in und bei der PDS, streben nach einer Gesellschaft, in der die Menschen selbstbestimmt und in freier Verantwortung für sich selbst leben können. Dazu gehört unserer Meinung nach auch die freie Entscheidung, sich zu berauschen oder nicht. Wir fordern das Recht auf Rausch!

Deshalb müssen Haschisch und andere Cannabisprodukte künftig frei erwerblich sein, wie wir es heute von Zigaretten kennen. Da die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Wirkstoffs THC als erwiesen gilt, ist das Cannabisverbot für uns nicht länger hinnehmbar. Das betrifft auch den Anbau THC-haltigen Hanfs, der in einem Land, in dem Stechapfel und Fliegenpilz, Trichterwinde und Engelstrompete wachsen, erlaubt sein muß.

Auch in den Konsum anderer weicher Drogen sollte der Staat nicht mehr restriktiv eingreifen. Deshalb fordern wir, daß die anderen Nicht-Opiate in Apotheken frei erwerblich sein sollen, wo ausgebildete Pharmazeuten auf Wunsch eine umfassende individuelle Beratung zu den gewünschten Stoffen übernehmen können.

Menschen, die auf Opiate (Heroin, Codein, Morphin usw.) angewiesen sind, sollen diese unter ärztlicher Aufsicht erhalten können. Hier beziehen wir Heroin ausdrücklich mit ein! Diese Forderung ist unter dem Punkt "Hilfen für Abhängige" konkret ausgeführt.

Auf diese Weise würden im Übrigen die heutigen illegalen Märkte für harte und weiche Drogen getrennt. Der Schwarzmarkt für weiche Drogen würde überflüssig, und der für harte Drogen würde viel an Lukrativität einbüßen. Die Folgen dessen werden unter dem Punkt "Humane Drogenpolitik und ihre Finanzierung" genauer beleuchtet.

5. Aufklärung und Prävention

Um selbstbestimmt sein Recht auf Rausch wahrnehmen zu können, braucht es vernünftige Aufklärung über Wirkungen und Gefahren des Drogenkonsums. Dazu notwendig ist der freie Zugang zu Informationen über Drogen.

Die nötige Aufklärung, um zum verantwortungsvollen Umgang mit Drogen als Genußmitteln zu befähigen, muß bereits in der Schule erfolgen, da der Kontakt zu Drogen zumeist in diesem Alter beginnt. Dazu sind in den Schulfächern Biologie, Chemie, Sozialkunde/Politik, Geschichte und Lebensgestaltung/Ethik aufeinander abgestimmte Lehrplaneinheiten zu Drogen/Rauschkunde einzuführen.

Informationskampagnen sowie Gruppen und Vereine, die sich der Aufklärung über Drogen verschrieben haben, sind durch den Staat angemessen zu unterstützen. Das bedeutet eine ausreichende finanzielle wie auch ideelle und logistische Hilfe.

Da Werbung grundsätzlich der Glorifizierung eines Produktes dient, muß diese für jede Droge, auch für Nikotin und Alkohol, verboten werden. Der Verherrlichung von Drogen darf kein Raum geschenkt werden, sie macht den aufgeklärten Umgang mit derartigen Substanzen unmöglich und schränkt die Selbstbestimmung des Einzelnen ein.

6. Hilfen für Abhängige

Drogenabhängige sind zuallererst keine kriminellen Kranken, um die sich Polizei und Justiz zu kümmern haben. Sie sind Menschen, denen, so sie es wollen, Hilfe bereitgestellt werden muß. Daß bedeutet auch, daß sie die Chance haben müssen, auch mit ihrer Sucht ein selbst bestimmtes Leben zu führen. Wie der bekannte Schweizer Modellversuch gezeigt hat, ist die ärztlich kontrollierte Abgabe von Heroin an süchtige Menschen ein probates Mittel, deren soziale und gesundheitliche Situation zu verbessern. Mithin sollte es in allgemein gängige Praxis umgesetzt werden. Wer auf Heroin angewiesen ist, sollte es von seinem Arzt auch bekommen können! Desweiteren sollten in allen Städten, in denen es offene Drogenszenen gibt, Druckräume eingerichtet werden. Dort müssen Junkies auch Einwegspritzen erhalten, um vernünftige hygienische Bedingungen zu schaffen, die das Risiko der Ansteckung mit Hepatitis oder HIV deutlich vermindern.

Sucht ist natürlich kein erstrebenswerter Zustand. Deshalb muß Süchtigen Hilfe angeboten werden, um von ihrer Sucht loszukommen. Das Angebot an Entzugs- und Therapieplätzen ist aber gegenwärtig alles andere als befriedigend. Hier ist umfangreiche staatliche Hilfe notwendig, um vorhandene Angebote auszubauen und neue zu machen. Gruppen und Vereine, die Hilfe beim Weg aus der Sucht anbieten, wie z.B. der Verein freier Einrichtungen in der Suchtarbeit e.V. (FES), dürfen nicht weiter nur auf Spenden angewiesen sein. Hier muß der Staat endlich seiner gesundheitspolitschen Verantwortung nachkommen und für ausreichende Finanzierung sorgen. Zudem muß der Zugang zu Therapien deutlich entbürokratisiert werden. Dreimonatige und längere Wartezeiten auf einen Therapieplatz stellen einen unhaltbaren Zustand dar!

Mit Methadon/Polamidon und Naloxon/Naltrexon gibt es bereits wirkungsvolle Stoffe zur Substitution bzw. für den physischen Drogenschnellentzug. Staatlicherseits fordern wir die Bereitstellung finanzieller Mittel für die weitere Erforschung der Substanz Ibogain. Die bisherigen Erfahrungen geben zu der Hoffnung Anlaß, daß dieses Mittel in der Suchttherapie künftig eine wichtige Rolle spielen kann. Speziell gegen die stark ausgeprägte psychische Abhängigkeit von Heroin kann Ibogain wirkungsvoll eingesetzt werden.

7. Humane Drogenpolitik und ihre Finanzierung

Der Bochumer Professor für Wirtschaftspolitik Karl-Hans Hartwig erstellte im Auftrag des hessischen Justizministeriums die Studie "Rationale Drogenpolitik in der Demokratie". Das umfangreiche Werk beziffert die jährlichen Kosten der momentanen Drogenpolitik auf über 13 Milliarden DM. Die Bereiche Beratung/Entgiftung/Therapie schlagen in diesem Bereich mit 602,4 Millionen DM zu Buche, Prävention und Forschung machen mit 25 Millionen DM nur einen vergleichsweise minimalen Betrag aus. Allein die Polizeikosten für den generell gescheiterten Versuch, das Heroin-Verbot durchzusetzen, belaufen sich Hartwig zufolge auf gut 480 Millionen DM. Bereits die letztgenannten Kosten fielen bei einer Entkriminalisierung harter Drogen weg.

Mehr noch: die oben beschriebenen Maßnahmen ließen den größten Teil der heute bestehenden sogenannten "Drogenkriminalität" zu einem Kapitel im Geschichtsbuch werden. Süchtige wären nicht länger gezwungen, Unsummen für ihren Stoff auszugeben, der ob der vielen Verunreinigungen nicht nur geringer in der Wirkung, sondern auch gefährlicher wegen der z.T. hochgiftigen Streckmittel (z.B. Strychnin, Arsen) ist, als das durch Ärzte verabreichte saubere Heroin. Heroin, das heute auf dem Schwarzmarkt mit ca. 200 Mark gehandelt wird, würde legal nämlich lediglich um die fünf Mark kosten.

Die Folgen der Entkriminalisierung liegen auf der Hand: Zum einen können Süchtige ihre Sucht finanzieren, ohne kriminell zu werden. Heutzutage beträgt der so verursachte Sachschaden ca. 3,2 Milliarden Mark. Die Polizei muß diese Delikte, wenn es sie nicht mehr gibt, nicht mehr verfolgen. Weitere 1,3 Milliarden Mark können bei den Beamten in Grün und Zivil sinnvoll umverteilt oder gespart werden. Die Kosten bei der Justiz, die sich mit diesen eigentlich unnötigen Delikten beschäftigt, belaufen sich auf 515,7 Millionen DM jährlich - auch hier kann dann gespart werden. Außerdem kosten die rund vier Millionen Tage, die die Bestraften zusammengenommen jedes Jahr in Gefängnissen verbringen, zur Zeit weitere 827,2 Millionen Mark.

Alles in Allem belaufen sich somit die Kosten der "Drogenkriminalität" auf über 5,8 Milliarden Mark (eine Zahl mit zehn Ziffern). Die Umsetzung einer humanen Drogenpolitik würde dafür sorgen, daß diese Kosten auf ein deutlich geringeres Maß zusammenschmölzen. Allein die dadurch erreichten Einspareffekte dürften ausreichen, unsere Forderungen zur Drogenpolitik zu finanzieren.

8. Schlußbemerkung

Wir haben mit diesen Weinheimer Thesen versucht aufzuzeigen, was eine humane Drogenpolitik bewirken könnte, von der Verbesserung der gesundheitlichen und sozialen Lage Abhängiger bis zur Entlastung von Polizei und Justiz. Das läßt uns zu dem Schluß kommen, daß eine Ende des "Krieges gegen Drogen" eine politische Notwendigkeit ist. Im Interesse aller Betroffenen wollen wir uns einsetzen, daß die oben beschriebenen Ziele umgesetzt werden. Gegen Willkür und Polizeistaat, für ein selbst bestimmtes Leben. Für das Recht auf Rausch!

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