Sicher verwahrt

Ist Sicherungsverwahrung wegen Drogen-/Hanfhandel verhältnismäßig?

[Hanfj-Jurnal vom Juni 2011]

Nach Urteilen des Europäischen Gerichtshof und des Bundesverfassungsgerichts wird das Thema Sicherungsverwahrung (SV) derzeit kontrovers diskutiert. Wenig Beachtung findet dabei bisher die Tatsache, dass SV in Deutschland keinesfalls nur bei Gewalt- und Sexualdelikten angewendet wird.: Wie Rechtsanwalt Sebastian Scharmer berichtet, sind aus dem Justizministerium keine genauen Angaben zu erhalten, wg. welcher Delikte SV angeordnet wurde. Im Groben ist SV nur zu knapp 50 Prozent gegen Sexualstraftäter angeordnet, gefolgt von der Gruppe der Straftäter wg. Raub, es folgen Gewaltdelikte. Aber auch wg. Drogenhandel und Eigentumsdelikten wurde SV angeordnet. RA Scharmer vertritt derzeit 3 Mandanten betreffs Sicherungsverwahrung wg. Drogenhandel, eine Kollegin 2 weitere. Gegen 2 wurde SV ausschließlich wg. Haschisch-Handel angeordnet. Hier stellt sich die Frage, ob bei Sicherungsverwahrung wg. Drogen-/Hanfdelikten die Verhältnismäßigkeit der Mittel noch gewährleistet ist!

Hans-Walter Hirth, Vorsitzender der linken Basisgruppe in der JVA Schwalmstadt, sieht als Langzeitbeobachter der SV in der Neuordnung der SV eine Neue Deutsche Selektion: „Eingeführt 1933, mit zahlreichen Änderungen angepasst an die jeweilige Zeit. Dem Verurteilten wird die Freiheit genommen. Dies verstößt zwar gegen Europäisches Recht, die Deutschen aber wollen anderer Meinung sein: Es werden Gesetze verabschiedet wie das neue Therapieunterbringungsgesetz. Hierdurch werden „gefährliche Straftäter“ zu Menschen mit psychischen Störungen, einfach Kranke ohne Recht auf Freiheit. In fast allen Fällen aber werden Straftäter bereits für die Verurteilung begutachtet und auf psychische Störungen untersucht. Liegt eine entsprechende Störung vor, wird die Strafhaft nicht angetreten, sondern es erfolgt die Einweisung in die Psychiatrie.“

Im Dezember 2010 wurde ein neues Gesetz zur SV verabschiedet. Während aber seit dem 01.01.2011 SV bei Eigentumsdelikten ohne Gewaltanwendung nun ausgeschlossen ist, wurden Betäubungsmitteldelikte ausdrücklich im Gesetzestext aufgenommen. Dies lässt einen sicheren Anstieg der Anordnungen auch bei Straftaten lediglich wg. Hanfhandel prognostizieren…

Ein Beispiel für die Anordnung von Sicherungsverwahrung ausschließlich wg. Haschisch-Handel ist der Fall von S.N., der inzwischen von RA Scharmer vertreten wird: 1987 und 1995 wurde S.N. wg. Handel mit Cannabisprodukten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Nach verbüßter Haftstrafe wurde er 2007 wegen Handel mit Cannabisprodukten in nicht geringer Menge in 8 selbstständigen Fällen (10- 40 Kilogramm pro Fall) jeweils in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr in nicht geringer Menge vom Landgericht München zu 10 Jahren Haft verurteilt. Gleichzeitig aber wurde Sicherungsverwahrung angeordnet, im Urteil wie folgt begründet: „Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung sind durch die hier zur Verurteilung gelangten Taten für die der Angeklagte jeweils Einzelstrafen weit jenseits von 3 Jahren Freiheitsstrafe verwirkt hatte, erfüllt. Das Gericht hält den Angeklagten auch für gefährlich aufgrund seines Hanges zu erheblichen Straftaten im Sinne §66 Abs.1 Nr.3 StGB. Es ist auch künftig mit vergleichbaren Verbrechen des Angeklagten, insbesondere dem Handeltreiben mit Cannabis im großen Stil, zu rechnen….Ungünstig wirke sich aus, dass der Angeklagte nicht nur den Gebrauch der Droge Haschisch, sondern auch sein eigenes Tun bagatellisiere…“

Zu den Anordungsmöglichkeiten der SV erklärte RA Scharmer in der Anhörung zum Gesetzentwurf, der zum 01.01.2011 in Kraft getreten ist: „Der Gesetzesentwurf spricht vorweg davon, dass SV auf Gefahren durch schwerwiegende Delikte gegen Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung begrenzt werden soll. Gleichzeitig ist allerdings eine solche Beschränkung nicht vorgesehen…Vielmehr besteht eine Anordnungsbefugnis weiterhin auch bei gemeingefährlichen Delikten und im Rahmen der Betäubungsmittelkriminalität fort. Beispielhaft soll hier nur der gewerbs- und bandenmäßige Betrug, die gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung oder aber das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge genannt werden. Wenn es bei der Anordnung der SV verbleibt, muss eine klare Beschränkung auf schwerste Gewalt- und Sexualdelikte erfolgen. Betäubungsmitteldelikte sowie Delikte, bei denen niemand gravierenden körperlichen oder seelischen Schaden genommen hat, müssen aus dem Anwendungsbereich entfallen. Es wird vorgeschlagen, einen klaren Katalog von Straftaten aufzuführen, die die Anordnung der Sicherungsverwahrung formell rechtfertigen können. Darunter gehören nach hiesiger Auffassung allenfalls Kapitalverbrechen.“

Während also beispielsweise in den Niederlanden der Verkauf von Cannabisprodukten seit Jahrzehnten geduldet und praktiziert wird ohne die „öffentliche Sicherheit“ zu gefährden, wird die Sicherungsverwahrung in Deutschland auch gegen Hanfhändler „missbraucht“.

Hans-Walter Hirth: „Mit Gefährlichkeitsprognosen, sog. Gutachten, sollen Richter eine Prognose erkennen und Urteile finden. Es ist absehbar, dass auch die neuen Gesetze selektierend auf einen Teil der Gefangenen zukommen. Wenn gegen alle, für die es laut Gesetz möglich wäre, SV ausgesprochen würde, wären das jährlich mehrere tausend Fälle. Es wird weiterhin möglich sein, bei Strafen mit Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren, wie auch bei schwerem wirtschaftlichen Schaden zu selektieren. Es werden weiterhin Haschischhändler, Geldfälscher, Geldräuber, usw. zur Neuen SV verurteilt und die Neue hat keine zeitliche Begrenzung. „Für immer Wegsperren“ verstößt gegen Menschenrechte. Anzumerken ist, dass Politiker seit über 40 Jahren populistisch härtere Strafen fordern. Es ist ein Offenbarungseid der Politik, SV auch für Jugendliche zu fordern.“

Durch das Urteil des BVerfG vom 04.05.2011 sieht sich RA Scharmer in der Notwendigkeit grundsätzlicher Änderungen zur SV bestätigt. Das BVerfG fordert u.a. eine strikte Trennung der Unterbringung in Strafhaft von SV-Unterbringung und hat festgeschrieben, dass einem freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden müsse. Hier fordert das BVerfG, ein entsprechendes Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln und normativ festzuschreiben. Die zuständigen Vollstreckungsgerichte haben.nun unverzüglich zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer SV gegeben sind. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ordnen die Vollstreckungsgerichte die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 an. Die vom BVerfG beschlossenen Bedinungen an die SV-Unterbringung sind bis spätestens 2013 umzusetzen. In der nun anstehenden politischen Diskussion und Umsetzung des Urteils sieht RA Scharmer eine neue Chance, auch die SV gegen Hanf-Händler erneut in Frage zu stellen.

Jo Biermanski

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