Kükenjagd im Landtag

[Neues Deutschland, 22. November 2004]

Berauschende Posse um junge PDS-Abgeordnete

Von Hendrik Lasch, Dresden

Soll ein Abgeordneter, der geistigen Getränken gewogen ist, einen Verkehrsausschuss leiten dürfen? Muss man Zigarrenraucher aus Umweltgremien fernhalten? Hat für Gelegenheitsspieler, die hin und wieder am Roulettetisch ihr Haushaltsgeld durchbringen, der Finanzausschuss tabu zu sein? Das sind Fragen, über die bisher auch im Dresdner Landtag nicht gestritten wurde – womöglich zu Unrecht. Denn eine Debatte, die derzeit im Wasserglas sächsischer Landespolitik für ein veritables Stürmchen sorgt, müsste bei konsequenter Fortsetzung zu einem Katalog neuartiger Qualifikationskriterien für politische Ämter im Freistaat führen.

Grund zu der Annahme liefern Bedenken, die CDU-Politiker jetzt gegen eine Kandidatin für den Vizevorsitz im Ausschuss für Schule und Sport geltend machen. Die PDS hatte dafür Julia Bonk vorgeschlagen, die zuletzt Sprecherin des Landesschülerrates war und sich in dieser Funktion mit Schulkonzepten ebenso auseinander gesetzt hat wie mit dem Kultusminister. Nach herkömmlicher Meinung kann sie mit solch fundierter Kenntnis der Materie für das Parlamentsgremium schon beinahe als überqualifiziert gelten.

Allerdings hat Bonk, die gerade 18 Jahre alt geworden ist und von Landtagsberichterstattern gern altväterlich als »Parlamentsküken« apostrophiert wird, auch schon einmal gekifft oder, um eine weniger verharmlosende Formulierung zu verwenden: Erfahrungen mit Substanzen gesammelt, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. In etwas unschuldiger Offenheit plauderte sie darüber mit Journalisten. Offenkundig berauscht von der Verführungskraft einer Namensnennung in einem Nachrichtenmagazin, hatte die Jungpolitikerin zuvor schon dessen Reporter über ihre libertären Ansichten zur Drogenpolitik im Allgemeinen in Kenntnis gesetzt. Seither ist Bonk, der auch manche Parteifreunde vor dem Landtagseinzug etwas mehr Lebenserfahrung gewünscht hätten, zum Lieblingsfeindbild der Landtags-Konservativen avanciert.

Ihr verqueres sprachliches Bild zur Selbstverantwortung bei Drogengebrauch (»Menschen können auch selbst entscheiden, ob sie von einer Brücke springen«) sorgte für einen Aufschrei der Empörung. Unverhohlen wurde an ihrer Eignung für den Landtagsjob gezweifelt. Die NPD, bei der Bonk zur konstituierenden Sitzung mit dem T-Shirt-Aufdruck »Schöner leben ohne Nazis« für Groll gesorgt hatte, berief eilends eine Aktuelle Stunde ein – Thema: »Schöner leben ohne Drogen«. Die Debatte wurde zu einem Lehrbeispiel für angewandte Doppelmoral.

Nun wird die Komödie im Landtag als Farce weitergesponnen. Nach der Nominierung Bonks eiferte der CDU-Jungpolitiker Lars Rohwer, dies sei »ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die einen sauberen Sport wollen«. Er forderte die PDS auf, die Personalie zu überdenken. Verhindern kann er Bonk nicht: Um die Zustimmung zu NPD-Kandidaten zu vermeiden, einigte sich der Landtag unlängst darauf, bestimmte Funktionsträger nicht zu wählen, sondern nur von ihren Fraktionen benennen zu lassen.

Ob die Debatte mit dieser verbalen Blutgrätsche des anscheinend ein wenig machtberauschten Saubermanns beendet ist, lässt sich schwer absehen – schließlich sind viele sächsische Politiker nach einer Erdbebenwahl, dem NPD-GAU und quälenden Koalitionsverhandlungen noch immer viel zu benebelt, um sich wirklich wichtigen Themen widmen zu können. Der sächsische Sport dürfte abseits der Biertische in den Sportlerheimen indes kaum unter der Übernahme des Vizepostens durch Bonk leiden. Darauf würde der Autor dieser Zeilen sogar einen Teil seines Haushaltsgeldes verwetten.

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