Substitutionstherapie rettet Leben – Ausbau stärken und Therapiehürden abbauen

[Rede von MdB Frank Tempel, DIE LINKE, vom 27. Juni 2013]

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,


die vorliegenden Anträge von SPD, LINKEN und Grünen lassen schnell erkennen, dass zu mindestens die Oppositionsfraktion die Substitutionstherapie in Deutschland ernst nehmen und dabei auf dringenden Änderungsbedarf hinweisen. Alle drei vorliegenden Anträge gehen in die richtige Richtung. Auch wenn der Antrag der SPD richtige Punkte benennt, unterscheidet er sich doch qualitativ an einigen Punkten sehr von unserem Antrag und dem Antrag der Grünen.

Die Substitutionstherapie ist nachweislich die effektivste Methode, die negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen der Opiat-Abhängigkeit zu bekämpfen. Die Versorgungslage für Substituierende muss sich unter anderem auch dadurch verbessern, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für Substitutionsärztinnen und -ärzte sowie die der Substituierenden selbst geändert werden.

Die Substitutionsbehandlung wurde per Gerichtsbeschluss erzwungen und die Ausgestaltung des Substitutionsrechts anschließend von den Kritikerinnen und Kritikern vorgenommen. Diesen Geist trägt die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) bis heute. Es geht deshalb darum, dass die BtMVV Substitutionsbehandlung in erster Linie ermöglicht und nicht verhindert. Zwar sehen auch Union und FDP hier Handlungsbedarf, aber grundlegende Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen wurden bis heute nicht durchgeführt.

Die Beantwortung einer Kleinen Anfrage von mir zur „Versorgungsituation zur Substitutionsbehandlung“ (Drucksache 17/12614) im März dieses Jahres hat ergeben, dass die Bundesregierung die Lage der Substituierenden nicht verbessert hat. Aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage ist zu erkennen, dass die aktuelle Versorgungslage äußerst prekär ist: Bei einer steigendenden Zahl von Substituierenden in den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Substitutionsärztinnen und -ärzte annähernd gleich geblieben. Die notwendige umfassende ärztliche Betreuung wird dadurch vor allem in ländlichen Gebieten immer schwieriger. Das Durchschnittsalter der Substitutionsärztinnen und -ärzte liegt mittlerweile bei 59 Jahren. Die Bundesregierung musste daher offen zugeben, „dass in den nächsten Jahren eine Reihe von Substitutionsärztinnen und -ärzten in den Ruhestand wechseln“ werden.

Wir wollen, dass allen Menschen, die eine Substitutionstherapie brauchen und diese in Anspruch nehmen möchten, dies auch tun können. Viele Abhängige haben anders gar keine Möglichkeit aus dem Sumpf aus sozialem Absturz, Abhängigkeit und Kriminalität auszusteigen. Um das klar zu sagen: Substitutionstherapie rettet Leben, und sie tut noch mehr: Sie senkt die Infektionsrate mit HIV und Hepatitis, sie ermöglicht den Betroffenen die Rückkehr ins gesellschaftliche Leben, sie reduziert die Beschaffungskriminalität und eröffnet nicht zuletzt andere Beratungs- und Betreuungsangebote.

Die Forschung hat klar gezeigt, dass die Opiat-Abstinenz nur selten erreicht wird, dass sie aber für die positiven Effekte der Substitution auch nicht notwendig ist. Unser Antrag sieht daher die in der BtMVV getroffene Festlegung auf die Abstinenz als primäres Behandlungsziel äußerst kritisch. So wird eine Behandlung verhindert, die entsprechend der internationalen Forschung und in Übereinstimmung mit dem Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stattfinden könnte. Die fachlich-medizinischen Festlegungen aus der BtMVV sind insgesamt zu streichen und der Selbstverwaltung zu übergeben. Das betrifft insbesondere die Festlegungen des Behandlungsziels, die Therapievoraussetzungen für Patientinnen und Patienten, die Regelungen zum Beikonsum sowie die Festlegung auf bestimmte Applikationsformen oder Wirkstoffe der Substitutionsmittel. Wir wollen, dass die Aushändigung des Substitutionsmittels für bis zu 30 Tage bei gesundheitlich und sozial stabilen Menschen ermöglicht wird (Take-Home-Regelung), denn wenn die Substitutionsbehandlung selbst die Reintegrierung behindert, hat sie ihr Ziel verfehlt.

In der Diamorphin-Substitution ist die Lage besonders prekär. Es ist ein Armutszeugnis der Bundesregierung, dass seit Ende des erfolgreichen Modellversuchs keine einzige Diamorphinambulanz hinzugekommen ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat sinnvollerweise die Hürden in der Diamorphinrichtlinie gesenkt. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung die Zeichen der Zeit erkennt und die flächendeckende Versorgung hier voranbringt.

Desweiten sollte die Kopplung einer medizinischen Suchtbehandlung mit anderen Maßnahmen in der BtMVV gestrichen werden. Durch eine Änderung der Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte, in Kooperation mit den Bundesländern, soll zudem darauf hingewirkt werden, dass suchtmedizinische Themen allgemein – insbesondere die Substitutionstherapie – stärker während des Medizinstudiums Berücksichtigung finden. Die jüngste Beantwortung einer Kleinen Anfrage von mir durch die Bundesregierung zum Thema „Behandlungs- und Versorgungssituation Alkoholabhängiger sowie Ausbildungslage im Medizinstudium“ (Drucksache 17/13641) lässt aber erkennen, dass diese Forderung bei Union und FDP auf taube Ohren stößt.

Die SPD fordert in ihrem Antrag daher richtigerweise eine Reform der BtMVV als auch des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Leider bleibt der Antrag aber relativ unkonkret. Zwar wurde die grundsätzlich richtige Forderung nach Angleichung der BtMVV an die ärztlichen Leitlinien gefordert, noch besser wäre es aber, die fachlich-medizinischen Festlegungen ganz aus der BtMVV zu entfernen, so wie es der Antrag der LINKEN fordert. Die meisten weiteren Forderungen im SPD-Antrag sind nur als Prüfauftrag formuliert. Das betrifft insbesondere die Regelungen zur Mitgabe von Substitutionsmitteln (Take-Home-Regelung), zur Strafandrohung gegen Ärztinnen und Ärzte und die flächendeckende Versorgung von inhaftierten Opiatabhängigen. Was die SPD jeweils konkret will, bleibt offen. Etwas Mut in der Sache hätte dem Antrag gut getan. So hinkt er selbst den Beschlüssen von Ärztekammer und Gemeinsamem Bundesausschuss hinterher.

Die Grünen hingegen werden in ihrem Antrag konkreter. Sie fordern die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem die medizinischen Vorgaben der BtMVV insbesondere zum Behandlungsziel, zur Dosierung und Art der Medikation, zur Mitgabe des Medikaments oder dessen Verschreibung sowie zur psychosozialen Begleitbehandlung – soweit jeweils medizinisch geboten – zukünftig durch eine dem aktuellen Stand der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft entsprechenden Behandlungsrichtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) geregelt werden.

Dabei stimmen wir als LINKE mit der Analyse der Grünen und dem grundsätzlichen Weg zur Verbesserung der Versorgung bei der Substitutionsbehandlung überein. Kritisch anzumerken ist lediglich, dass sich keine Forderung auf die Verbesserung der Versorgungslage bei der psychotherapeutischen sowie psychosozialen Betreuung bezieht.

Die Union erklärte im Beratungsverlauf, dass sie ausschließlich dem Antrag der SPD etwas Positives abgewinnen kann, aber selbst bei diesem hätte man große Bedenken, ob die vorgeschlagenen Punkte nicht der Sicherheit im Betäubungsmittelverkehr widersprechen. Und ebenso wie die FDP lehnt die Union daher alle drei Anträge ab, ohne konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Substitutionslage zu erbringen.

In der Gesamtheit ist das Verhalten der schwarz-gelben Bundesregierung daher ein weiteres Armutszeugnis. Es bedarf auch aus drogen- und suchtpolitischer Sicht einen grundlegenden Wechseln in der bisherigen Bundespolitik.

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